Wenn früh am Morgen die Werksirene dröhnt
Und die Stechuhr beim Stechen lustvoll stöhnt
In der Montagehalle die Neonsonne strahlt
Und der Gabelstaplerführer mit der Stapelgabel prahltJa, dann wird wieder in die Hände gespuckt
Wir steigern das Bruttosozialprodukt!(Geier Sturzflug)
Kein Song verdeutlicht steigende Produktivität und die Freude daran so sehr wie „Bruttosozialprodukt“ von Geier Sturzflug. Wir können uns geradezu bildlich ausmalen, wie die Arbeitenden aus diesem Lied mit Elan an einer immer schnelleren Taktzeit, einer immer höheren Produktivität arbeiten.
Und heute?
2021 sind singende Mitarbeitende am Fließband aus verschiedenen Gründen keine Realität mehr. Längst bewegen Generationenwandel und Fachkräftemangel die industrielle Produktion hin zu Automatisierung. Die Taktzeit ist heute immer weniger von motivierten Arbeitskräften, sondern von technischer Ausstattung abhängig. Häufig ein kritisches Nadelöhr: Die eingesetzten Bildverarbeitungssysteme.
Wie hängen die Taktzeit und Bildverarbeitung in der Produktion zusammen? Wie lassen sich Engpässe vermeiden und welche Stellschrauben gibt es dafür? Diesen Fragen wollen wir in diesem Beitrag auf den Grund gehen.
Taktzeit – zentrale Stellschraube der Produktion
Zunächst einmal steht die Taktzeit in der Industrie für die „Zeit, in der jeweils eine Mengeneinheit fertiggestellt wird, damit das Fließsystem die Soll-Mengenleistung erbringt“ (Zitat REFA Verband nach Wikipedia). Damit lässt sich die Ergebnismenge einer Produktionsstation oder eines ganzen Werks mithilfe einer Zahl betrachten. Sie berechnet sich aus der täglichen Nettoarbeitszeit geteilt durch die Stückzahl pro Arbeitstag.
Zu Zeiten der manuellen Produktion – was 1983 zur Veröffentlichung von „Bruttosozialprodukt“ häufig noch die übliche Variante darstellte – resultierte die Taktzeit aus Akkordarbeit. Nicht selten wurden Arbeitskräfte deswegen nach Stückzahl entlohnt.
Steigende Effizienzansprüche und Fachkräftemangel haben in den vergangenen Jahren jedoch dazu geführt, dass diese Aufgaben zunehmend (teil-)automatisiert wurden. Die Taktzeit ist dann keine Vorgabe für menschliche Aufgaben mehr, sondern gibt an, wie schnell ein Teilschritt durchgeführt werden muss, um Übergangsverluste und Flaschenhälse zu vermeiden.
Was hat die Bildverarbeitung mit der Taktzeit zu tun?
Egal, ob für das automatisierte Handling von Werkstücken oder zur Prüfung der Teile: Die industrielle Bildverarbeitung ist fester Bestandteil vieler Automatisierungsprozesse. Erst durch die eingesetzten Sensoren und Software sind Roboter und Maschinen in der Lage, Werkstücke korrekt zu fassen und zu verarbeiten.
Denn Objekte möglichst schnell und präzise über Maschinen zu erfassen gestaltet sich leider nicht so einfach wie man denken mag:
- Liefert die Umgebung ausreichend Licht, um das Objekt zu erkennen?
- Reflektiert oder glänzt der Gegenstand?
- Bewegt er sich und könnte dadurch unscharf erfasst werden?
- Ist die Auflösung ausreichend, um die Objekte auch wirklich zu erkennen?
- Gibt es individuelle Gegebenheiten, die beachtet werden müssen?
Diese Komplexität von Machine Vision hat in der Vergangenheit zu umständlichen und möglicherweise unzuverlässigen Systemen geführt. Glücklicherweise hat die Technologie in den letzten Jahren jedoch große Fortschritte gemacht – heutige Systeme können hier eine wesentlich bessere Bilanz aufweisen. Auch das wirkt sich bereits auf die Produktionstaktzeit aus.
Durch die hohe Taktgeschwindigkeit ist das Werkstück nicht für eine normale Aufnahme sichtbar. Das angeschlossene Bildverarbeitungssystem muss entsprechend schnellere Verschlusszeiten nutzen.
Um noch besser zu verstehen, wie die Bildverarbeitung und Taktzeit sich gegenseitig beeinflussen, lohnt sich ein Blick auf die beiden Bestandteile industrieller Bildverarbeitung:
Bilderfassung und Taktzeit
Bevor die Bilddaten verarbeitet werden können, muss sie zunächst ein Sensor oder eine Kamera erfassen. Entsprechend kommt es hier darauf an, wie schnell ein Werkstück zuverlässig vor dem Sensor positioniert werden kann und wie lange die Aufnahme für ein präzises Bild dauern muss. Die Aufnahmesituation muss daher möglichst hell sein, um Rauschen und Bildfehler zu vermeiden. In dunklen Produktionshallen kommen deswegen oft zusätzliche Lichtquellen zum Einsatz, z.B. diffuses Licht über LumiLED. Damit lässt sich die nötige Belichtungszeit entscheidend verringern.
Bei sich bewegenden Teilen, z.B. auf einem Förderband, ist das eine entscheidende Verbesserung: Nur so lassen sich die Teile ohne Bewegungsunschärfe auf dem Band aufnehmen und verarbeiten. Schon ein Vorrücken um drei Pixel kann bei präzisen Messungen das Ergebnis unbrauchbar machen. Ausreichende Helligkeit – und idealerweise auch ein lichtstarkes Objektiv im Sensor – sind hier unabdinglich.
Bildverarbeitung und Taktzeit
Um die aufgelaufenen Bilddaten auch sinnvoll verwerten zu können, müssen sie verarbeitet werden. Viele Machine Vision Systeme setzen dafür auf sog. Vision Controller, die nicht selten mittels Edge Computing laufen. Für einen schnellstmöglichen Transport dorthin braucht es eine schnelle und zuverlässige Übertragung: In der Bildverarbeitung ist dies der GigE-Vision-Standard über Ethernet. Diese Kabelverbindungen erreichen Übertragungsgeschwindigkeiten von bis zu 1 Gb/s.
Gehen die Daten zusätzlich an einen leistungsfähigen Vision Controller, der die Daten schnell verarbeiten kann, und ist auch die Software performant ausgelegt, landen die Ergebnisse umgehend bei Robotersteuerung oder Prozesssicherung. Je nach Aufgabe kann die Berechnung so in Bruchteilen einer Sekunde stattfinden – für die Taktzeit wertvolle Millisekunden.
Machine Vision lässt den Ruf als Nadelöhr der Produktion hinter sich
Egal, ob Bildverarbeitung im Bin Picking, zur Qualitätsinspektion oder zur Erfassung von Werkstücken: Dass die Vision-Komponente den Betrieb behindert hat, gehört mit den Systemen der neuen Generation der Vergangenheit an. Kisten und Schüttgut innerhalb einer vorgegebenen Frist ausräumen oder Teile auf dem Fließband prüfen, bevor sie am nächsten Produktionsschritt ankommen sind, stellen damit die automatisierte Produktion nicht mehr auf die Probe.
Vielleicht ist der nächste Schritt ja ein zusätzliches Radio im Vision-System: Dann können auch Roboter und Co. wieder singen „… jajaja, dann wird wieder in die Hände gespuckt…“